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situation kinderkultur wien


ICHDUWIR
14.11.1999, 15:13

Zur Entwicklung und Situation von Kinderkultur

Den Ursprung gezielter Kunst- und Kreativitätsförderung sehe ich in Erkenntnissen und Forderungen "moderner" Pädagogen. Die Anerkennung von Spiel als Lerninstrument, die Erkenntnis, daß kreatives Gestalten persönlichkeitsbildende Entwicklungsschritte unterstützt, führten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen Alltagsbereichen zur Aufwertung kindlicher Bedürfnisse.
Die Nazidiktatur wußte das Wissen um kindliche Bedürfnisse und Möglichkeiten mißbräuchlich für sich zu nützen, die propagantischen Kinder- und Jugendprogramme erscheinen mir hinlänglich bekannt.
Im jungen, neuen Österreich nahm Wien bald eine Vorreiterrolle ein. In Kindergärten, Horten Schulen und privaten Freizeiteinrichtungen fand reges Kunst- und Kreativschaffen statt. Wenngleich die Zielsetzung meist eine vordergründig pädagogische war, so konfrontierte sie doch ziemlich flächendeckend Kinder mit unterschiedlichen Kunstrichtungen und animierte zu eigener experimenteller Umsetzung. Spezielles Kindertheater war allerdings auf Marionetten- und Kasperltheater, sowie Märchenaufführungen großer Theater beschränkt.
Für Jugendliche, bald auch für Schulkinder, bot das Theater der Jugend ein breit gefächertes Kunstangebot in Form besonders verbilligter Eintrittskarten für Theater, Oper, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. Die eigene Zeitung "Neue Wege" richtete sich an Jugendliche. Sie regte künstlerisch-kulturelle Auseinandersetzungen an und machte ihre LeserInnen mit jungen Künstlern bekannt.
Die Sechzigerjahre brachten zwar nicht sofort den kulturellen Umbruch für Kinder, wirkten aber grundlegend durch neuen Ansätze auf die Konzepte der Siebzigerjahre und darüber hinausreichend bis heute.
Institutioneller Vorreiter war unbestritten das Theater der Jugend, das sich mit gezielten Angeboten an die Volksschulen wandte. Die zunehmenden Eigenproduktionen griffen nicht nur Märchen sondern auch Kinder- und Jugendbuchstoffe auf. Konzerte, Filme und Autorenlesungen fanden auch am Vormittag statt, das hauseigene Figurentheater gastierte an Volksschulen. Neben der Tradition von klassen- und schulinternen Rollen- und Singsspielen öffneten sich damit Schulen für Kunstkontakte.
Die neuen pädagogischen Strömungen der "68er", damit in Verbindung stehende kulturelle und künstlerische Konzepte forderten allerdings mehr und stellten das Kind in neuer Form in den Mittelpunkt. Den pädagogischen Ansätzen des beginnenden Jahrhunderts verwandt, sollte Kinderkultur eigenständig und von der Erwachsenenkultur unabhängig Bedeutung erhalten. Zielsetzung war aber nicht mehr vorrangig die Sozialisation, sondern die Emanzipation der heranwachsenden Generation. Kindertheater war emotional, parteiisch und demaskierte die Welt der Erwachsenen.
Als Wegbereiter, Ausgangs- und Kristallisationspunkt dieser Entwicklung ist das Dramatische Zentrum anzusehen. Die Verbindung von offener Ausbildungsstätte und Projektzentrum schuf für kurze Zeit eine bewegliche, fundiert ausgebildete, freie Kunst- und Kulturszene. Für kurze Zeit waren praktische Arbeit und wissenschaftliche Begleitforschung eng miteinander verbunden. Ilse Hahnls soziokulturelles Animationskonzept, kulturpolitische Forderungen und künstlerische Kooperationen wirkten auch nach der Schließung noch einige Zeit weiter.
Die ersten "Freien" Gruppen fanden in den 70er Jahren ihr Publikum überall dort, wo Kinder ihren Alltag verbrachten. In Wohnhausanlagen, Parks, Kindergärten und Schulen fanden die schwungvollen Aufführungen statt. Animation bedeutete aber auch, die Kinder in neuer Form anzuregen selbst kreativ und künstlerische tätig zu werden. Aktion und Experiment standen im Vordergrund und schienen grenzenlos.
Finanzielle Unterstützung der ersten "Freien" gab es allerdings kaum. Wer an Schulen spielen wollte, mußte sich um pädagogische Beurteilungen und Spielgenehmigungen -zuerst beim Stadtschulrat, später beim Theater der Jugend- bemühen. Diese Behinderungen, die oft auch Zensur bedeuteten, sowie die oft im Vordergrund stehende kultur- und gesellschaftspolitische Zielsetzung führte bald wieder zur Auflösung der meisten Gruppen. Doch die prinzipielle Entwicklung war nicht mehr rückgängig zu machen.
Ausleben dürfen, Freimachen von zwanghafter Schritt für Schritt "Kreativanleitung" war erklärte Zielsetzung der Freizeitpädagogik geworden. Private Vereine und parteinahe Institutionen engagierten sich in Basiskulturarbeit. Parkaktionen, Wiener Ferienspiel und Spielfeste wurden im Rahmen von Bezirksaktivitäten zunehmend institutionalisiert. Kindertheater war in steigendem Maße integriert, wobei Künstleraktion und Animation oft nicht auseinanderzuhalten war. Der Besucherzulauf war enorm und garantierte Volksfestcharakter.

Mitte der Achtzigerjahre hatten sich wieder viele freie Theatergruppen formiert, die spezielle Stücke für Kinder anboten und zunehmend auch Veranstaltungsorte mit regelmäßigen Vorstellungen erschlossen. Vielen gemeinsam war die, wenn auch unterschiedlich eingesetzte, Form der Zuschauerbeteiligung und die Erarbeitung eigener Stücke. Den enormen Publikumserfolg sehe ich einerseits im Umstand, daß es im Rahmen der Feste und Aktionen zum "kostenlosen" Erstkontakt kam, andererseits erstmals auch eine breite, thematisch interessante, Angebotspalette für Kinder ab 4 Jahren zur Auswahl stand. Die individuelle "Vorarbeit" der einzelnen Gruppen und Veranstalter führte schließlich dazu, daß auch seitens der Politiker die Sparte "Kindertheater" nicht mehr zu übersehen war.

Ende der Achtzigerjahre wechselte, als erster Schritt, das Minibudget "Kindertheater" von der MA13 zur MA7, dem Kulturamt. Gründung der österreichweiten Vereinigung "Assitej Austria" und AG- Kindertheater Wien schufen erstmals Künstlerplattformen für interne Diskussionen und politische Forderungen. Die erste Internerhebung ortete Anfang der Neunziger Jahre vierzig aktive Kindertheatergruppen.
Vierzig Gruppen unterschiedlichster Zielsetzungen, organisatorischer Strukturen, künstlerischer Formen und handwerklicher Qualität. Viele Gruppen waren von ehemaligen MOKI-Schauspielern gegründet worden, die Mehrzahl der Künstler ist aber als "Quereinsteiger" zu bezeichnen; schließlich fehlte, und fehlt bis heute, jede spezialisierte Ausbildungsmöglichkeit. Aufgrund der unterschiedlichsten Konzeptionen, Schwerpunkte und Ansätze waren die AG-Diskussionen engagiert und hitzig, aber nicht selten von unterschiedlichen Grundhaltungen geprägt.

An diesem Punkt hakte die Kulturpolitik ein. Nach dem Motto, "Was ich nicht verhindern kann, muß ich schwächen!" begann einerseits eine präzise gesteuerte und inhaltlich diffuse Qualitätsdiskussion, andererseits wurden subventionsansuchende Gruppen systematisch gegeneinander ausgespielt. Als politische Fachberater wurden Mitarbeiter des Theater der Jugend herangezogen, deren Verständnis und Meinung als Kriterien angelegt.

Die anfänglich große Beteiligung bei AG-Treffen reduzierte sich merklich und zunehmend auf jene, die bereit waren sich mit den Subventionsgebern zu arrangieren. Viele Gruppen gibt es nicht mehr, an ihre Stelle sind Gruppen neuer Prägung getreten. Statt beständigen Teams repräsentieren immer häufiger RegisseurInnen und GruppenleiterInnen mit wechselnden Projektbeteiligten Theaternamen und damit Stilrichtungen.
Das ursprüngliche AG-Konzept eines Kindertheaterhauses für alle Gruppen der freien Szene wurde jahrelang hinausgezögert, korrigiert, beschnitten und verändert, sodaß sich beim derzeitigen Projektvorhaben die ernsthafte Frage stellt, wer soll dort spielen?
Die Entwicklung der Neunzigerjahre, die gefeierte Installierung eines Kindertheaterbeirates, brachte nämlich auf allen Ebenen eine nicht zu übersehende Teilung der Kindertheaterszene. Wie in allen anderen Kunstbereichen auch kann man sie mit den Schlagworten Hochkultur und Alltagskultur umreißen. Hochkultur wird subventioniert, Alltagskultur hat wenig bis keinen Stellenwert. Inhaltlich fand großteils ein Rückzug auf literarische Vorlagen statt, bekannte Bücher sollen Besucher garantieren. Die Begriffe Animation und Mitspieltheater sind fast gänzlich aus den Konzepten verschwunden, die Ausbildungssituation hat sich nicht geändert, ebenso wenig der Umstand, daß Veranstalter nicht selten aufgrund der Gagenforderung engagieren und damit das Preisniveau unter jenem vor 8 Jahren liegt.

Basiskulturarbeit in ihrer ursprünglichen, animatorisch - anregenden Prägung gibt es heute nicht mehr. Private Initiaven sind öffentlichen und öffentlich nahestehenden Vereinen gewichen, funktionierende Konzepte wurden einverleibt und dadurch unbeweglich. Parkbetreuung, Lernbetreuung und Freizeitangebote sind somit weitgehend institutionell strukturiert. Das früher selbstverständliche, in den Unterricht integrierte Rollenspiel, wurde als "Darstellendes Spiel" zum Schulanhängsel und steht bei Kürzungen an erster Stelle. Der Österr. Kulturservice vergibt seine Mittel für schulische Künstlerkontakte willkürlich und nicht nachvollziehbar.

In dieser Stadt sprießen viele Initiativen und engagierte Projekte, wachsen und reifen können allerdings nur wenige. Darüber können auch positive städtische Einrichtungen wie das Kindermuseum ZOOM nicht hinwegtäuschen.
Die momentan schwerpunktmäßige Hinwendung zur Festival- Eventkultur unterstreicht den konsumorientierten Trend unserer Gesellschaft. Veranstalter, Subventionsgeber und Sponsoren beweisen damit gern kinderfreundliches Image bzw. ihr eigenes jugendlich-dynamisches Dasein.
Letztere erwirken sich damit auch spielend Zugang zu einer der mächtigsten Konsumentengruppen. Kultur wird als Konsumpropaganda mißbraucht, unsere Kinder in die Einheitsform konsumhöriger "Knackenten" gepreßt.
Sozialisation ist eine Entdeckungsreise. In der "äktschnbetonten Knackentenwüste" gibt es, außer schön verpackte Nudeln und flotten Sprüchen, nichts zu entdecken. Der Weg zum mündigen Menschen muß mit Vielfalt gepflastert sein. Erst die Vielfalt von Erfahrungen, Anregungen und Kontakten ermöglicht bewußte Auseinandersetzung und führt zum Ausloten individueller Persönlichkeit.

Die Schuld an dieser Entwicklung kann man willkürlich und jedem zuweisen. Kulturpolitikern, Medienvertretern, Künstlern, Kulturarbeitern, Institutionen,... bis hin zur einzelnen Familie. Geändert wird dadurch nichts. Auch die derzeit so populäre Abwehrhaltung gegenüber dem Begriff "Pädagogik" verzögert nur längst notwendige Veränderungen und ernsthaften Auseinandersetzungen um neue Definitionen von Kulturpädagogik.

Zukunftsträchtige Kinderkultur muß sich durch fundierte Konzeptionen auszeichnen, die die notwendige Verbindung von Kunst und Kultur mit sozialen, emotionalen und psychologischen Aspekten gewährleisten.
Das Kind, als ernstzunehmendes Mitglied unserer Gesellschaft, mit entwicklungsbedingt unterschiedlichen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Erfahrungen muß in den Mittelpunkt gestellt werden.

Heide Rohringer- ICHDUWIR Kinderkultur
ICHDUWIR existiert seit 1987, seit ´88 als gemeinnütziger Verein mit kultur- und theaterpäd. Grundlagenkonzeption
Die Angebote umfassen übergreifend viele Sparten und wenden sich in vielen Fällen generationsübergreifend an die gesamte Familie
Die Tätigkeitsbereiche werden durch keinerlei Subvention gestützt



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